ANDREAS MÖLZER
Abgeordneter zum Europaparlament

6. Oktober 2013, Totengedenken Völkermarkt

Rede von MEP Andreas Mölzer beim gemeinsamen Totengedenken von Kärntner Heimatverbänden und slowenischen Verbänden am Friedhof von Völkermarkt am 6. Oktober 2013

Sehr geehrte Damen und Herren!

Jene, die hier liegen, gleich welche Muttersprache sie hatten, gleich für welches Vaterland sie kämpften, gleich welcher Ideologie sie dienten, sie sind auf jedem Fall Opfer einer der schrecklichen Tragödien, wie sie das 20. Jahrhundert geprägt haben.

Nun, Jahrzehnte später in einem neuen und für uns alle europäischem Jahrhundert, ist die Frage von Schuld und Sühne, wer Täter war, wer Opfer war, nachrangig geworden. Die Mythen jener europäischen Völker, die sich damals gegenseitig zerfleischten, sind längst historisiert, sie trennen uns Erben dieser Tragödien nicht mehr, sie vereinen uns vielmehr im Schmerz, in der Trauer und in einer maßlosen Verwunderung, wie das passieren konnte.

Wir, die wir heute durch die Gnade der späten Geburt glauben den Schrecknis der Geschichte entrinnen zu können, wir haben jedenfalls nicht das Recht, unsere Väter, Großväter und Urgroßväter zu richten. Wir können ihrer Gedenken, wir können aber nicht ihre Richter sein. Dieses Gedenken, das für uns auf der Kärntner Seite von Schmerz und Liebe und tiefer Dankbarkeit gegenüber den Abwehrkämpfern in etwa geprägt ist, verlangt aber von uns, der Gegenseite Respekt zu zollen. Respekt für ihr Opfer, für ihren Kampf, und Respekt für den Schmerz ihrer Nachkommen, unserer heute hier anwesenden Zeitgenossen.

Und so wie wir nicht Richter über unsere Vorväter sein dürfen, sollten wir nicht glauben, dass wir klüger und moralisch besser wären als sie. Wer da meint, heute wäre eine Wiederholung der Tragödien des 20. Jahrhunderts unmöglich, weil wir alle ja ach so viel aus der Geschichte gelernt hätten, könnte sich täuschen. Vor hundert Jahren, im Herbst 1913 saßen die Menschen ebenso saturiert in den Kaffeehäusern und Restaurants und hatten Jahrzehnte des Friedens hinter sich. Eine gewisse Lüsternheit nach Konflikt, nach einem schnellen reinigenden Krieg, der das vermeintlich so dekadente Zeitalter ablösen sollte, war den Eliten aller europäischen Völker damals zu eigen. Im Herbst 1913 aber konnten sie nicht ahnen, dass sich ein Jahr später die Pforten der Hölle öffnen würden zwischen Galizien und Montenegro, zwischen Verdun und Karfreit.

Wir sollten uns also nicht in allzu großer Selbstgewissheit wiegen. Das Sprichwort „homo homini lupus“, ist alleweil nach wie vor zutreffend. Völker, die ihre Geschichte nicht kennen, sind dazu verurteilt, sie erneut zu erleiden, sagt der Philosoph. Wenn wir wirklich aus jenen Tragödien lernen wollen, vor deren Opfern wir hier stehen, müssen wir auf jeden Fall das Gespräch mit den Gegnern von einst, bzw. deren Traditionsträgern suchen. Nicht die Unterschiede zwischen den europäischen Völkern einzuschmelzen gilt es, um künftige Konflikte zu vermeiden, nein, man sollte sie kennen, schätzen und lieben lernen, um in freundschaftlicher Nachbarschaft unsere gemeinsame europäische Zukunft zu gestalten.

Ihr Kämpfer des alten Jahrhunderts, die ihr im Glauben an eure jeweilige Sache gefallen seid, ruht in Frieden. Euer Opfer war nicht vergebens, wenn wir, die Nachgeborenen aus euren Tragödien lernen, um deren Wiederholung für uns und unsere Kinder zu vermeiden.

(Diese Rede von MEP Mölzer wurde aus organisatorischen Gründen ebenso wie die vorgesehenen Reden vom 3. Landtagspräsidenten Schober und dem Bürgermeister von Völkermarkt nicht an den Gräbern gehalten).